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Station Intensiv
   
ein musikalisches Drama
für 16 singende Nebenrollen und einen stummen Helden
 
Silvesterabend in einer deutschen Stadt. Im Krankenhaus liegt ein Mann, frisch operiert nach einem schweren Autounfall. Er ist noch bewußtlos und augenscheinlich in diesem Moment ohne jeden Einfluß auf sein Schicksal. Der Arzt jedoch, der dem Patienten eine 50:50 Chance zum Überleben gibt, weiß um die Kraft der menschlichen Psyche, die in solch einer Situation den Ausschlag geben kann. Nicht nur im Wachen haben wir schließlich Wahrnehmungen, Empfindungen und Vorstellungen, die nicht deshalb weniger bedeutsam sein müssen, weil sie weniger "real" sind als das sonst Erlebte.
Die alte Hamletfrage nach Sein oder Nichtsein kann also unter Umständen auch anderswo als in der "Realität" beantwortet werden.
 
Die Biographie und die Lebenssituation der Hauptperson entwickelt sich in dem Stück durch eine Darstellung auf drei verschiedenen Ebenen. Zum einen sind da Chirurg und Polizist, Ehefrau, Priester und Nachtschwester, die am Unfallort oder im Krankenhaus zur Wirklichkeit des Augenblicks gehören. Die Gestalten treten am Anfang und am Ende des Stücks auf.
Die meisten Personen, die sich zu Wort melden, tun dies aber aus der Zukunft, sprich der zweiten Lebenshälfte des Patienten, so wie er sie möglicherweise erfahren wird, falls er sich dieser Zukunft nun stellen mag. Auf der jeweils dazwischen gelagerten dritten Handlungsebene erscheinen der Drahtzieher der Zukunftsschau und dessen Gegenspieler als Repräsentanten höherer Mächte - oder aber als vom menschlichen Geist gezeugte Bilder, die ihrerseits wieder Bilder erzeugen oder kommentieren.
 
Das Gesamtbild, das sich auf diese Weise entfaltet, zeigt einen Menschen in seinem privaten wie gesellschaftlichen Umfeld. Die Hauptperson steht in der Mitte des Lebens, an der "Zonengrenze zwischen alt und jung", wo so mancher Anlaß genug zur Erstellung einer Zwischenbilanz sieht.
Was ist erreicht, wieviel Erfüllung haben Liebe, Beruf und sonstige Betätigungsfelder gebracht, und wieviel ist nun noch zu erwarten ? Und wie wird die Nachwelt das Erreichte beurteilen ?
 
Hier erscheint die Hauptperson des Stücks als Vertreter einer Epoche, die mittlerweile schon Geschichte ist. Über Jahrzehnte hinweg lebte man im Zentrum Europas in einer keineswegs idealen, aber doch stabilen Welt, in der man individuelles Glück oder auch gesellschaftliche Veränderung in einem vorgegebenen, festen Rahmen suchen konnte, ganz im Gegensatz zu den Eltern und Großeltern, deren Leben oft mehr durch zwei Weltkriege und allerlei politische und wirtschaftliche Erschütterungen bestimmt wurde, als durch die eigene Wahl. Und nun bezeichnet der Sohn der Hauptperson die Zeitgenossen seines Vaters als eine "Generation der Pausenclowns", deren Scheinwelt nicht die seine sein kann.
 
Ein Land, eine Welt im Umbruch ist es, der sich der Patient im Falle des Weiterlebens gegenüber sieht. Und auch in seinem Leben ist, wie er erkennen muss, nichts gewiß, jede Gewißheit trügerisch.
Die zweite Halbzeit kann hart werden : daran lässt das Panoptikum der möglichen größeren und kleineren Katastrophen keinen Zweifel. Ist da nicht der sanfte Abschied vom irdischen Dasein eine durchaus verlockende Alternative ?
Und was kann ein deutscher Hamlet am Ende des 20ten Jahrhunderts tun, um seinem Weiterleben einen Sinn zu geben ? Gerade dies ist ja die Frage, die sich Shakespeares tragischer Held nicht stellen konnte oder mochte : für ihn gab es nur passives Erleiden "des wütenden Geschicks", oder andererseits ein Zuwiderhandeln mit bekanntermaßen tödlichem Ausgang.
 
Ganz anders als Hamlet kommt die Hauptperson der "Station Intensiv" im gesamten Stück nicht zu Wort. Dennoch wird sie durch die Gestalten und das berichtete Geschehen um sie herum zu einer lebendigen Figur, an deren Leiden, Hoffen und Bangen der Zuschauer in einem ähnlichen Maße Anteil nimmt wie an dem Leben des Prinzen von Dänemark. Wie in Shakespeares Stück und wie im "wirklichen" Leben wechseln dazu ernste und komische Stimmungen, die Geister der Tragödie und der grotesken Komödie einander ab. Und wie im "richtigen" Leben ist der Rest Schweigen.
 
Manfred Malzahn 1995